Einseitig? – Ja, klar. Verharmlosend? – Nein.

Nun bin ich zurück von zweieinhalb Wochen Kinotour durch Deutschland und Österreich mit meinem Dokumentarfilm SEXarbeiterin. Ich bin etwas geschafft, aber auch glücklich und sehr zufrieden über den großen Anklang, das unerwartet positive Presseecho, die vielen Zuschauer_innen. Dankbar bin ich vor allem auch für die intensiven und inhaltlich spannenden Diskussionen und Gespräche mit uns und den Expert_innen vor Ort nach den Vorführungen. Ein Kritikpunkt, der (nicht unerwartet) sowohl von Zuschauer_innen als auch in den Rezensionen und gelegentlich von protestierenden Organisationen vor Ort aufgeworfen wird, ist die mangelnde Repräsentativität. Verharmlosen wir damit die real existierenden Probleme in der Sexbranche? Kurz: ich glaube nicht. Es ist ja auch möglich, eine Liebesgeschichte zu erzählen, ohne damit real existierende und immer noch beunruhigend verbreitete häusliche Gewalt zu verharmlosen. Und ein Naturfilm mit schönen Bildern muss sich auch in der Regel nicht vorwerfen lassen, ökologische Probleme zu leugnen. Bei den meisten Themen ist es „erlaubt“ mal nur den einen, mal nur den anderen Aspekt zu beleuchten. Beim Thema Sexarbeit scheint das anders. Wir, der Regisseur Sobo Swobodnik und ich, antworten:


„SEXarbeiterin“ ist ein ganz persönliches Portrait einer selbstbewussten, selbstbestimmt arbeitenden Sexarbeiterin, die ihren Beruf gerne ausübt. Es fehlt all das, was man in einem Film über Prostitution erwartet: Drogen, Gewalt, Elend, Zuhälter. Dafür gibt es eine Menge Intimität, Ästhetik und Alltäglichkeit. Das irritiert.

Haben wir da nicht etwas ausgeblendet? Die Frage bekommen wir im Publikumsgespräch oft gestellt. Und die Antwort heißt: nein. Tatsächlich findet Lena ihr eigenes Leben in dem Film wieder. Hätten wir Gewalt darstellen wollen, hätten wir sie künstlich inszenieren müssen. Und selbst die Kunden, die in ihrem Telefon auf der schwarzen Liste gelandet sind, entpuppen sich beim Nachfragen als Fake-Bucher und Telefonerotiker, nicht als übergriffige Gewalttäter. Die Wirklichkeit ist nicht immer so, wie man sie sich vorstellt.

Glorifiziert, verharmlost, idealisiert „SEXarbeiterin“ damit die Prostititution? Wir meinen: nein. Denn der Film betrachtet bewusst ein einzelnes Leben in der Tiefe, anstatt eine Vielzahl von Geschichten nur an der Oberfläche anzureißen – in dem vollen Wissen, damit keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben zu können. Vielmehr geht es uns darum, einen Aspekt aufzuzeigen, der im gesellschaftlichen Diskurs, in der medialen Erzählung über Sexarbeit fast nicht vorkommt: die selbstbestimmte Sexarbeit.

Kein Porträt einer einzelnen Sexarbeiterin, egal welcher, könnte die Branche repräsentativ wiedergeben. Wer sich wünscht, ein komplexes Themenfeld anhand einer einzigen Biographie komplett auffächern zu können, macht es sich zu einfach. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber: wenn ein Film, eine Reportage, ein Zeitungsartikel über Zwang und Elend in der Prostitution berichtet, wird die einseitige Darstellung (außer von Sexarbeiter_innen selbst) selten moniert. Die Forderung nach Ausgewogenheit durch Darstellung einer freiwillig und gerne arbeitenden Sexarbeiterin wird in diesem Fall gar nicht erst erhoben; ebenso wenig die nach Darstellung der vielen Realitäten, die sich zwischen Sexarbeit aus vollkommener Alternativlosigkeit und Sexarbeit als Berufung bewegen. Die Nicht-Repräsentativität wird widerspruchslos hingenommen, solange sie die Bilder im eigenen Kopf bestätigt.

Sobo Swobodnik & Lena Morgenroth

6 Gedanken zu „Einseitig? – Ja, klar. Verharmlosend? – Nein.

  1. Hallo Lena,
    wie schon an anderer Stelle geschrieben finde ich Deine Öffentlichkeitsarbeit mit diesem Film und auch mit den Podiumsdiskussionen wahrlich heldenhaft – Du trägst dazu bei das unsere Arbeit in einer breiteren Öffentlichkeit anders wahrgenommen wird.
    Beste Grüße aus Köln

  2. Pingback: Mit Bildern Bildern entgegenwirken? – der Film Sexarbeiterin im Bahnhof Langendreer | Feminismus im Pott

  3. Pingback: Die heilige Hure – Lichtseiten der Sexarbeit

  4. Pingback: Die heilige Hure – Lichtseiten der Sexarbeit – Eva Hanson

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